Vera Röhm
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»Im (Goldenen) Schnitt I« · Durch den Raum, durch den Körper

Tenzlexikon

Körper – Leib – Raum, Der Raum im zeitgenössischen Tanz und in der zeitgenössischen Plastik, Tanz x Skulptur x Raum. Ein Lexikon von Nele Lipp. Uwe Rüth, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Art Print Publishers, Essen (ed.), 2005, Seite 27


Tanzlexiokon

Körper – Leib – Raum, Der Raum im zeitgenössischen Tanz und in der zeitgenössischen Plastik, Tanz x Skulptur x Raum. Ein Lexikon von Nele Lipp. Uwe Rüth, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Art Print Publishers, Essen (ed.), 2005, Seite 209



KÖRPER LEIB RAUM
Uwe Rüth

Der Raum im zeitgenössischen Tanz und in der zeitgenössischen Plastik

Der Raum ist das Außen im Erleben des Menschen. Ihm stehen die Gefühle und die Gedanken als innere Weit gegenüber. Der Leib verbindet innere und äußere Welt miteinander; die Sinne greifen über die leiblichen Grenzen hinaus und in den Raum ein. Der Raum wird durch die sich in ihm befindlichen Körper und den sich durch ihn hindurch bewegenden Leib des Menschen für das Subjekt wahrnehmbar. Damit ist der den Menschen umgebende Raum der existenzielle Raum des in ihm Lebenden.


Diese wenigen Sätze umreißen die Stellung des Menschen als erlebendes Wesen in der Weit. Seit Beginn der Neuzeit dehnt der europäische Mensch seine Raumerfahrungen und Beziehungen stetig aus er entdeckt neue Weiten außerhalb der alten, bekannten, entdeckt den Raum seines Leibes als einen eigenständigen, unmittelbar mit ihm verbundenen und abgeschlossenen Teil der Welt, in der sein Ich eingebettet ist: »Wenn mein Körper im Baume den Ort wechselt«, schreibt Henri Bergson, »verändern sich alle anderen Bilder entsprechend, und nur er selbst bleibt unveränderlich. Ich muss also wohl oder übel ihn zu dem Mittelpunkt machen.« (Henri Bergson: Materie und Gedächtnis, Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist, frz. Paris 1896. Zitiert nach: Hamburg 1991, S. 32).

Mit dem Versuch, die äußere Welt bildlich darzustellen, hat sich der Mensch seit dem 14. Jahrhundert mit der Erfindung der Zentralperspektive ein Rüstzeug zugelegt, dass bis vor wenigen Jahrzehnten als eindeutig und unverrückbar galt. Erst mit den neuen Entdeckungen der Naturwissenschaften seit Ende des 19. Jahrhunderts wankte diese Sicherheit, und mit der Entwicklung der Relativitätstheorie durch Albert Einstein, die den Raum nicht gradlinig sondern gekrümmt festlegte, begann eine gänzlich neue Sichtweise auf das eng mit der Zeit verknüpfte Phänomen ›Raum‹.

Es war nicht zuletzt der Bildende Künstler – der kreative Mensch also, der sich die Interpretation und Durchdringung der Welt mit Hilfe der Gestaltung von Materie zum fühl- und sichtbaren Kunstwerk zur Aufgabe gestellt hat –, der die sich wandelnde Betrachtungsweise des Raums in seinen Darstellungen über die Jahrhunderte dokumentiert und künstlerisch verarbeitet hat. Ist die Darstellung des Raums in der Fläche eines Gemäldes oder einer Zeichnung jedoch eine illusionistische, so schafft der dreidimensional arbeitende Bildhauer oder Plastiker immer im unmittelbar realen Raum.

Bis heute ist das so: Fördert inzwischen der allein mit Formen und Farben gestaltende, gegenstandsfrei arbeitende Maler Bilder aus dem Inneren des Menschen in die Außenwelt, häufig in raumlosen Kompositionen von Formen und Farben, so bleibt dem Plastiker nach wie vor allein der Weg, Körper für und in den Raum zu schaffen: Die klassische Plastik ist ein künstlerisch geformter Körper, der durch seine Form und seine durch sie erschlossene Ausdruckskraft die Atmosphäre des Raums erfüllt und beeinflusst. Im 20. Jahrhundert trat eine Entwicklung ein, die den Bezug plastisches Kunstwerk / Umraum immer enger verzahnte, bis schließlich in den Rauminstallationen und Performances der 60er Jahre der Umraum mehr und mehr ein Teil des Kunstwerkes wurde. Es war auch in diesem Jahrzehnt, dass der Künstler die Beziehung zwischen dem menschlichen Körper und dessen Gefühl zum Umraum erkannte. Plastische Körper und menschlicher Leib wurden als unmittelbare Teile des Raums begriffen, die diesen genau so beeinflussten, wie umgekehrt der Raum die Körper und den Leib.

Der moderne Tanz, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom klassischen Ballett mehr und mehr abhob, entwickelte für den sich im Raum bewegenden Leib des Tänzers Ähnliches: »Die herausgehobene Funktion des »Leeren, des spannungstragenden Zwischenraums zwischen den Elementen der räumlichen Komposition, erhält eine zentrale Bedeutung für den modernen Tanz des 20. Jahrhunderts«, schreibt die Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter (Gabriele Brandstetter: Tanz Lektüren Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Frankfurt a.M. 1995, S. 318) und bezeichnet damit das ähnliche Phänomen für den Tanz. Als richtungsweisende Tänzerin ist in diesem Zusammenhang die amerikanische Künstlerin Loie Fuller zu erwähnen, die mit ihren illuminierten Stoff Tänzen Ende des 19. Jahrhunderts als »Entdeckerin und Schöpferin dieser neuen Beziehung zwischen Bewegung und Raum« (Brandstetter, a.a.O., S. 332) gilt. Die Bewegungen der Tänzerin und ihres wehenden, zu Luftkaskaden schwellenden Gewandes vermochten es, in den von wechselndem farbigem Licht erfüllten Raum neuartige, umfassende Erlebnis und Sinneseindrücke hervorzurufen. Sind es in der Plastik die Beeinflussung und das Einbeziehen des Umraums durch statische, in den Raum hineingestellte künstlerische Körper, so beim modernen Tanz die sich bewegenden und agierenden Leiber der Tänzerlnnen: Körper – Leib – Raum bilden eine Einheit des künstlerischen Ausdrucksgefüges, die als Ganzes auf den erlebenden oder unmittelbar integrierten Betrachter einwirkt.

Die gegenseitige Beeinflussung oder Befruchtung der beiden Gattungen Bildende Kunst und moderner Tanz ist von Beginn an gegeben.
Die ersten Protagonisten des modernen Tanzes tanzten schon früh in Museumsräumen – meist im unmittelbaren Umfeld antiker Plastiken –, wie umgekehrt Bildende Künstler und Dichter glühende Verehrer des Tanzes waren von Edgar Degas und Auguste Rodin bis Rainer Maria Rilke und Hugo von Hofmannsthal. So tanzte z.B. die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan wiederholt in unmittelbarer Nachbarschaft zu griechischen Plastiken und stellte darüber hinaus in ihren Tänzen häufig die exakten Körperhaltungen der Figurinen antiker Plastiken oder griechischer Vasenmalereien nach: Galten diese doch als der Inbegriff eines geistig durchwirkten aber unverstellten und natürlichen Bewegungspotenzials. Diese Momente der unmittelbaren Begegnung leiblicher Bewegungsaneignung des Raums und plastischem Kunstwerk als Körper im Raum bilden die überzeugendsten Beispiele der künstlerischen Durchdringung von Raum. Hier geht die Bildende Kunst über in die tänzerischen Bereiche und der moderne Tanz in die künstlerische Plastik. Deshalb kommt es, dass die im Bildenden Kunst Bereich angesiedelte tänzerische Performance (Gisela Brodbeck, Susanne Kirchner u.v.a.) genauso zum zeitgenössischen Tanz zu zählen ist, wie umgekehrt der reduzierte Formkanon eines späten Tanzes von Gerhard Bohner durchaus auch als Tanzaktion des Bereichs der Bildenden Kunst gelten könnte. Dadurch, dass beide Bereiche mit dem »Körper im Raum« arbeiten, ist eine erstaunliche Nähe dieser beiden Gattungen offensichtlich.

Wo aber findet man die scheidenden Grenzen? Gibt es diese, oder sind die Übergänge so schwimmend und organisch, dass sie nicht wahrnehmbar sind? Diese Fragen versucht die Ausstellung »Körper – Leib – Raum. Der Raum im zeitgenössischen Tanz und in der zeitgenössischen Plastik« zu beantworten.

Das Programm der Ausstellung ist vielschichtig und lebendig: Es besteht aus mehreren Bereichen, die jeweils unterschiedliche Präsentationsvoraussetzungen verlangen. Da ist zunächst der Teil, der einem Museum, das sich der Skulptur verschrieben hat, am nächsten liegt: Eine Ausstellung von Plastiken, die einen unmittelbaren Bezug zum Tanz besitzen. Dieser Teil wurde auf Beispiele beschränkt, die jeweils ganz eigene Beziehungen zum lebendem Körper und dessen Bewegungsstrukturen aufzeigen. Er hätte mit Leichtigkeit weiter ausgedehnt werden können.

 

Aber eine Beschränkung auf markante Beispiele, die in ihrer körperhaften Beziehung zum ›Tanz‹ und damit zum ›Leib‹ des Menschen stehen, erschien insoweit wirkungsvoller, da ihr Beispielcharakter intensiver und isolierter vom Besucher wahrgenommen werden kann. Nur wenige gewünschte Arbeiten konnten aus unterschiedlichen Gründen nicht hinzugezogen werden. Sie bilden bei der Gesamtpräsentation aber keine Lücke, die so schmerzlich ist, dass das angestrebte Ziel nicht verwirklicht werden konnte.

Den zweiten Bereich bilden Werke, die als Kunstwerke den ›virtuellen‹ Raum besetzen, also den Raum, der durch die elektronischen Medien in den letzten Jahrzehnten für die Bildende Kunst ebenso erschlossen wurde wie für den modernen Tanz (Video Tanz). Hier wurden Beispiele ausgesucht, in denen eigene räumliche Strukturen ausgebildet oder dargestellt sind, die dem menschlichen Leib neue Umgebungen und/oder neue Bewegungsmöglichkeiten erschließen. Auch hier konnte und sollte keine umfassende und vollständige Präsentation erreicht werden markante Beispiele aber zeigen das breite Spektrum der Möglichkeiten an.

Weiterhin werden zwei Beispiele von choreographiertem Tanz im zweiten Teil der Ausstellung (vom 22. Januar bis zum 12. März) permanent gezeigt, in denen die Arbeit von jeweils einem Bildenden Künstler ( Vera Röhm und Robert Schad) und einem Tänzer (Gerhard Bohner) gleichberechtigt zueinander stehen ›im (Goldenen) Schnitt I und II‹. Die für die Aufführung angefertigten, den (Bühnen )Raum strukturierenden plastischen Werke sind im Original den jeweiligen Videodokumentationen der Tanzaufführung gegenüber gestellt. Hierdurch gibt es eine Konfrontation, die den statischen Plastiken und den auf sie bezogenen Bewegungen des Tänzers einen möglichst authentischen Wert verleiht.


Sechs Tanzaufführungen zu dem Ausstellungsthema runden die Präsentation ab: In Ihnen wird versucht, die jeweils typische Stellung des Raums und die Wirkung plastischer Elemente, die in den ausgesuchten Darbietungen eine wesentliche Rolle spielen, herauszukristallisieren und deren Wert und Zusammenwirken für die Choreographie zu erkennen.

Enden wird das Unternehmen mit einer theoretischen Durchdringung der gemachten Erfahrungen: Am Samstag, dem 11. März, wird ein wissenschaftliches Symposion zum Thema der Ausstellung in Kooperation mit der Gesellschaft für Tanzforschung (GTF), Arbeitskreis TanzKUNST, veranstaltet, und am folgenden Sonntag soll die Finissage das Ende der Ausstellung anzeigen.

Der hier vorgelegte Katalog übernimmt zwei Aufgaben: Einmal ist er einem Ausstellungskatalog entsprechend Dokumentation dessen, was in den Wochen der Präsentation zu sehen sein wird und passiert, aber darüber hinaus wird er durch das von der Tanzwissenschaftlerin Nele Lipp erarbeitete Lexikon »Tanz x Skulptur x Raum Ein Lexikon« zu einem einmaligen Nachschlagewerk.

Uwe Rüth: Körper – Leib – Raum, Der Raum im zeitgenössischen Tanz und in der zeitgenössischen Plastik mit Tanz x Skulptur x Raum. Ein Lexikon von Nele Lipp. Uwe Rüth, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Art Print Publishers, Essen (ed.), 2005, Seite 8-11


BohnerBohner

Bohner

BohnerBohner

Bohner

BohnerBohner

Bohner

Im (Goldenen) Schnitt I, Durch den Raum, durch den Körper
, Uraufführung 2.5.1989 Akademie der Künste Berlin, Choreographie und Tanz: Gerhard Bohner, Rauminstallation: Vera Röhm, 9 Ergänzungen, 1989, Fichtenholz, Plexiglas, je 315 x 11,5 x 11,5 cm, Fotografie © Klaus Rabien (1,2,4,5,8) Gert Weigelt (3,6,7,9)




Oberfeld 1980

Oberfeld

© Vera Röhm, Installation Oberfeld, 1980, 81 Ergänzungen, Fichtenholz, Plexiglas , je 315 x 11 x 11 cm; Abstand der Ergänzungen: jeweils 3 m , 576 m2, Fotografie © Günter Claus




Vera Röhms Ergänzungen
Anca Arghir

Anfang der 70er Jahre begann die Bildhauerin Vera Röhm, eine Reihe von geometrischen Objekten aus gebrochenen, durch transparentes Plexiglas wiedervervollständigten Holzbalken zu schaffen, die seither unter dem Titel "Ergänzungen" bekannt geworden sind. Die lineare, vierkantige Grundform wird nach unterschiedlichen Winkeln gegliedert, so dass eine Serie abgewandelter Strukturen entsteht, die wiederum in verschiedenen Dimensionen realisiert werden. Es handelt sich dabei um komplexe Gebilde, in denen über die materielle Ergänzung von Holz und Acrylglas hinaus samt deren Anspielung auf die Komplementarität von Natur und Artefakt auch die stilistische Ergänzung von konstruktiven und expressiven Momenten zustande kommt, wenn die Bruchstellen eine Dramatik der Destruktion gleichsam in vitro darbieten, um der glatten Geometrie der Gefüge entgegenzuarbeiten.
Die großformatigen Werke werden mitunter zu begehbaren Konstellationen komponiert. Innerhalb des mehrdimensionalen Raumes kann dann der Zuschauer den zweifachen Effekt der "Ergänzungen" wie durch Synästhesie auf sich wirken lassen. Auch wurde gerade durch diesen simultanen Kontrast von Gegensätzlichem der Choreograph und Tänzer Gerhard Bohner angesprochen, als er die "Ergänzungen" für die Bühneninstallation seines Solotanzes "Im (Goldenen) Schnitt I . Durch den Raum, durch den Körper" wählte. Die "Ergänzungen", Raum und Körper zugleich, sollten die Stationen des Körpers von einer Etappe zur anderen des irreversiblen Fortschreitens durchs Leben markieren.



Im (Goldenen) Schnitt I
Anca Arghir

Durch den Raum, durch den Körper / (Through Space, through the Body)

Erst die Aufstellung der Holz- und Plexiglasbalken gewährt Einsicht in den räumlichen Prozeß, den die "Ergänzungen"' über ihre von fesselnden Strahleffekten bestimmte Einwirkung hinaus als Komplex vollziehen.
Hier werden sie in rhythmischen, gleichwertigen Abständen auf solche Weise gestellt, daß sie eine begehbare Konstellation bilden.
Nicht bloß die Wahrnehmung der Einzelwerke löst jetzt das ästhetische Erlebnis aus, sondern das synergische Moment des Gesamteindrucks. Die Künstlerin bewirkt von hinter den Kulissen ein Zeremoniell des Schreitens.

1987 Anca Arghir: Die Ambiguität des Gegenstandes in: Vera Röhm. Ergänzungen/Intergration, Galerie 44, Kaarst.




Im (Goldenen) Schnitt I
Hedwig Müller

Sein Thema der Identität des Tänzers setzte Bohner mit gleicher Konsequenz in den drei Versionen der Produktion „Im (Goldenen) Schnitt“ fort. Allerdings ist die Reibung mit dem institutionellen Rahmen des Theaterbetriebs, der in „Schwarz weiß zeigen“ noch gegeben war, entfallen. An seiner Stelle steht ein Kunstwerk, das jetzt den äußeren Rahmen erstellt, und noch übergeordneter, die Auseinandersetzung mit einem ästhetischen Prinzip, nämlich dem, was als harmonisch proportioniert erachtet wird, wie der Titel „Im (Goldenen) Schnitt“ besagt. Die Regel des Goldenen Schnitts, nach der bei zwei Teilen einer Geraden, die in harmonisches Verhältnis zueinander gesetzt werden, das kleinere Stück sich zum Größeren so verhält wie das Größere zur Gesamtheit der Geraden, ergibt auf den menschlichen Körper angewandt, dass der Einteilungspunkt etwa beim Schwerpunkt, dem Zentrum jeder tänzerischen Bewegung liegt. Die Beziehungen, die sich aus den Proportionen und den Verhältnissen der menschlichen Glieder zueinander und zum Gesamtkörper ergeben, sind für Bohner Inhalt seiner künstlerischen Arbeit. Daher ist der Titel des Soloabends auch ohne das Eingeklammerte lesbar: „Im Schnitt“, also Fazit: Die drei Teile von „Im (Goldenen) Schnitt“ sind eine Art Bilanz seines bisherigen Schaffens.

 

Im ersten Teil mit der Rauminstallation der in Darmstadt und Paris arbeitenden Bildhauerin Vera Röhm stehen im dunklen Raum acht massive Holzpfähle wie Gitterpfosten an der Bühnenrampe entlang, ein einzelner im hinteren rechten Bühnenraum. Diese „Ergänzungen“ eröffnen viele Interpretationsmöglichkeiten: die Kombination von Holz und Plexiglas verbindet und kontrastiert zugleich Natur und Künstlichkeit, tradiertes und modernes Material, archaische Vergangenheit und technologische Gegenwart. Gebrochenes ist repariert, die Prothese ergänzt den Stumpf, die Gewalt, die die massiven Hölzer hat abbrechen lassen, ist an den spitzen Splitterenden noch sichtbar, als Mahnmal und auch Drohung. Das Glas verdeckt nicht, aber schirmt die Wunde ab, besänftigt nicht, aber macht sie ungefährlicher. Der abseits aufgestellte Pfahl prägt die Spannung des Raums, widersetzt sich – auch durch seine Isolierung – der trügerisch harmonischen Ordnung der in Reih und Glied aufgereihten anderen Pfosten, hebt die nüchterne Segmentierung des Raums durch die vorderen Pfähle zum Teil wieder auf, bleibt als Irritation präsent, auch wenn das tänzerische Geschehen von ihm abrückt.

 

Zu Musik von Bach aus dem „Wohltemperierten Klavier“ (in der Einspielung von Keith Jarrett) reflektiert Bohner die Skulpturen, die gleichzeitig seine körperlichen Bilder widerspiegeln. In seiner Choreographie durchleuchtet er die ihm als Tänzer zur Verfügung stehenden Bewegungen, allerdings nicht mehr mit dem Blick des jungen Tänzers, der sie möglichst brillant und tänzerisch atemberaubend ausführen möchte, sondern als erfahrener, gereifter Mann, der die Grundlagen analysiert, aus denen die Bewegungen, die in den Raum hineinragen, gewachsen sind, mit all ihren Verletzungen, die veredelt sein mögen, aber den erlittenen Schmerz nicht verleugnen können. In den von jeweils zwei Skulpturen begrenzten einzelnen Bühnensegmenten führt Bohner seine Körperanalyse aus. Kopf, Schultern, Arme, Hände, Beine, Hüften, Knie, Füße ... – alle Glieder werden in ihren Bewegungsmöglichkeiten dargestellt, gelegentlich unterstützt durch einen Gehstock, der zwar dem entlasteten Bein Freiraum verschafft, aber selbst auf Behinderung und Gebrechlichkeit verweist. Die Bilder, die Bohner findet, enthalten mehr als nüchterne Analyse, sind nicht abstrakt, wie der choreographische Ansatz vielleicht vermuten lässt. Die Bedachtheit, mit der Bohner tanzt, sein Umgang mit Zeit und Dynamik setzen Akzente. Wenn er die Hände mit aneinandergelegten Daumenspitzen wie einen Ring um den Hals führt, zeigt er auf der vorderen Ebene nichts anderes als die geometrische Form des Kreises und doch steigen sofort beklemmende Assoziationen bis hin zum Todeswürgen auf. Die Bewegungsformen enthalten stilisierte Alltagsbewegungen ebenso wie Sequenzen aus dem klassischen Ballett oder expressive Gesten – das bei Tatjana Gsovsky wie bei Mary Wigman Erlernte tritt hervor.

Textauszug: Hedwig Müller: "Bewegungsskulpturen - Gerhard Bohners Soloprogramme,"  
Gerhard Bohner - Tänzer und Choreograph, Berlin: Edition Hentrich, 1991, S. 115f.

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